Martini - das optimistische Halberstadt-Magazin

Staunen statt Scrollen

Das Städtische Museum Halberstadt hat gleich doppelt Grund zu feiern: Zum einen gibt’s jetzt eine Sonderausstellung zum 120. Geburtstag, und zum anderen ist eine junge, engagierte Archäologin mit dem Vorhaben angetreten, Geschichte lebendig zu vermitteln. Alexandra Runschke wünscht sich, dass bei ihren museumspädagogischen Angeboten ein Funken der Begeisterung auf die Besucher überspringt.

Von Dana Toschner

Kann ein Ort wie das Städtische Museum Halberstadt junge Menschen noch erreichen? Will jemand alte Teller, Schüsseln und Bilder sehen, die in Vitrinen stehen, obwohl im Sekundentakt Videos und Fotos auf dem Smartphone um Aufmerksamkeit buhlen? „Ja, ich glaube, wir brauchen das Museum mehr denn je. Es kann ein Gegengewicht zur schnellen, lauten und oft oberflächlichen Welt sein. Ein Gemälde, eine historische Fotografie oder ein archäologisches Fundstück lässt sich nicht mit einer Fingerbewegung wegwischen. Hier geht es darum, stehenzubleiben, mal genauer hinzuschauen, einzuordnen. Wir sind ein Lernort. Das gilt für Kinder und Jugendliche genauso wie für Erwachsene“, sagt Alexandra Runschke.

Die junge Frau, deren strahlendes Lächeln von echter Begeisterung für ihr Metier zeugt, ist erst seit Anfang April als Museumspädagogin angestellt und hatte schon wenige Wochen nach dem Start ein erstes Erfolgserlebnis zu vermelden: Pünktlich zur Eröffnung der Jubiläumsausstellung lag das von ihr konzipierte Heftchen vor, das Kinder durch die Räume führt, sie mit der Museumsarbeit vertraut macht und – ganz wichtig – zum Mitmachen animiert. „Man kann sich eine Sofortbildkamera ausleihen, Fotos machen und einkleben, Aufgaben lösen, ein eigenes Wappen gestalten, sich als Detektiv und Archäologe ausprobieren“, zählt sie auf. „Unser Maskottchen Tado, ein kleiner Hund, hilft den Kindern, sich zu orientieren.“ Letztendlich gehe es darum, einen spielerischen Zugang zu finden und sich mit einzelnen Ausstellungsobjekten intensiv zu beschäftigen. „Museen bewahren Erinnerungen. Und genau das tun die Kinder mit diesem Heft auch. Ich hoffe, dass der Museumsbesuch als schönes Erlebnis im Kopf bleibt.“

Das Museum kann ein Gegengewicht zur lauten, schnellen Welt sein.

Auch für Erwachsene, die glauben, das Städtische Museum längst in- und auswendig zu kennen, sei die Jubiläumsausstellung empfehlenswert, denn sie widme sich besonders der Arbeit der Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter seit 1905. Die Objekte, Fotos und Dokumente, die derzeit zu sehen sind, liegen sonst im dunklen Depot. „Wir zeigen ein Jahr lang die unbekannten Schätze“, sagt Alexandra Runschke und erklärt, dass nur rund zwei Prozent dessen, was das Museum besitzt, in der regulären Dauerausstellung einen Platz hat. 

Sie gerät ins Schwärmen, während sie auf ihr Lieblingsobjekt, eine Tasse aus der Bronzezeit, weist. „Wenn ich das in der Hand halten darf, freue ich mich, denn das ist nicht nur irgendein Keramikgefäß, sondern ein Fenster in die Vergangenheit. Vor 3500 Jahren benutzte jemand diese Tasse. Ich frage mich, wie nah ich dieser Person noch bin. Es klingt fern, aber wenn man es in Relation zur Menschheitsgeschichte betrachtet, ist es nur ein Wimpernschlag.“ 

Auch bei den Kinderführungen versucht sie, über ausgewählte Objekte eine Brücke zwischen der heutigen und damaligen Zeit zu schlagen. „Wenn ich frage, wie viel die Kinder heute mit jenen, die im Mittelalter lebten, gemein haben, gelingt es leichter, sie auf die gedankliche Reise mitzunehmen.“ Nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene, sehen ein Museum mit anderen Augen, wenn man jene Geschichten erzählt, die hinter den Ausstellungsstücken stecken. „Deshalb würde ich bei einem Museumsbesch immer eine Führung empfehlen. Die Leute, die für ihr Fachgebiet brennen, erreichen es oft, dass ein Funke auf die Besucher überspringt. Das ist ein ganz anderes Erlebnis, als wenn man allein durch die Räume spaziert.“

Sie selbst liebt das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle (Saale), der Stadt, in der sie Prähistorische Archäologie und Geschichte studiert hat. Sieben Jahre hat Alexandra Runschke dort gelebt, war schon während des Studiums auf Grabungen im Einsatz. „Eine tolle Zeit! Grabungen sind richtig spannend, aber auch körperlich anstrengend. Du musst ordentlich Erde schippen und arbeitest manchmal 60 Stunden in einer Woche“, sagt sie. „Wenn der Boden geöffnet und das Wetter gut ist, muss das Team zügig arbeiten und gut dokumentieren.“ Die Stimmung auf einer Grabung, die an „Klassenfahrt-Atmosphäre“ erinnere, vermisse sie, aber mit dem Familienleben sei ein solches Arbeitspensum schwer zu vereinbaren. Deshalb ist sie vor einigen Jahren zurück in die alte Heimat Wasserleben gezogen, wo sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern lebt. 

Ihre berufliche Heimat fand sie zunächst im Harzmuseum Wernigerode. Ihr archäologisches Wissen war dort gefragt, so konnte sie in den Jahren 2023 und 2024 eine sogenannte Mitmach-Grabung anleiten. Gut 30 Interessierte aus Wernigerode und Umgebung durften neben dem „richtigen“ Grabungsteam dabei mitwirken, das verschwundene Kloster Himmelpforte zu erforschen. Ein Abenteuer, an dem sich vom 13- bis zum 74-Jährigen viele Generationen beteiligten.

Die Ausgrabung des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt ermöglichte es schließlich, die Grundzüge des Klosters zu rekonstruieren. Ein Aufsehen erregender Fund ging durch die Medien: Vier etwa 500 Jahre alte Goldmünzen wurden entdeckt. Die Archäologen vermuten, dass ein Mönch sie im Zuge der Stürmung und Plünderung des Klosters im Bauernkrieg 1525 versteckt haben könnte. Aktuell sind diese Münzen zusammen mit anderen Objekten aus jener Grabung im Rahmen der Ausstellung „Zwischen Himmel und Revolte. Kloster Himmelpforte und der Bauernkrieg“ im Harzmuseum zu sehen. „Diese Ausstellung zu kuratieren, war für mich ein toller Abschluss in Wernigerode“, sagt Alexandra Runschke.

Dass ihr als Fachfrau für Jungsteinzeit und Bronzezeit das Graben und Forschen fehlen wird, wenn sie sich fortan in Halberstadt auf die museumspädagogische Arbeit konzentriert, glaubt die 40-Jährige nicht. „Ich habe gespürt, es ist Zeit für was Neues, für ein etwas anderes Arbeitsfeld. Was nützt uns die Forschung, wenn keiner die Geschichte versteht? Mir Gedanken zu machen, auf welchen Wegen wir hier im Museum historisches Wissen vermitteln können, empfinde ich als wichtige Aufgabe. Letztlich können wir Menschen doch nur verstehen, wer wir sind, wenn wir wissen, woher wir kommen.“