Balouuu wir müssen weiter, nun komm schon!“ Normalerweise bin ich diejenige, die etwas hinterherhängt, schließlich steht Wandern nicht unbedingt auf der Liste meiner Lieblingsaktivitäten. Nun aber versuche ich, meinen drolligen Wandergefährten zum Weiterlaufen zu motivieren. Das Alpaka-Männchen Balou, das in Röderhof zu Hause ist und mir den Huy zeigen will, ist mir auf Anhieb sympathisch. Er steht äußerst unbeeindruckt in der Frühlingssonne und frisst lieber grünes Gras, als sich zu beeilen. Ich nehme mir an seiner Trödelei ein Beispiel und gucke tagträumend in die schimmernden lichtdurchfluteten Baumkronen. Kerstin und Stefan Galisch aus Halberstadt, die beiden Gründer des kleinen Alpaka-Projekts, führen unser Gespann über Waldwege, an deren Rändern die Sträucher blühen. Dass die erfolgreiche Schlittenhundesportlerin, die im Huy ihre Siberian Huskys trainiert, mit ihrem Unternehmen Outdoor-Aktiv Husky-Touren als Freizeiterlebnis anbietet und darüber hinaus den Kletterwald in Blankenburg betreibt, nun auch noch Alpakas hält, hat einen ganz pragmatischen Grund.
„Gegenüber unserer Hundezwinger-Anlage liegt ein großes Wiesengrundstück“, erzählt Kerstin Galisch. „Wir haben es gepachtet, aber ehrlich gesagt: Wir waren einfach zu faul, die Wiese regelmäßig zu mähen.“ Als ihnen ein Angestellter von einem Nachbarn erzählte, der seine Alpakaherde verkleinern wolle, horchten sie auf. „Die Tiere fressen hauptsächlich Gras und Heu. Das passte einfach wunderbar zusammen.“
Die Idee, von ihrer Herde nicht nur den Rasen mähen zu lassen, sondern auch Alpaka-Spaziergänge anzubieten, hatten Galischs sofort im Kopf. „Wir dachten, das könnte eine schöne Sache werden. Sollte es nicht funktionieren, ist es auch nicht schlimm – dann haben wir sie eben nur für uns.“ Gemeinsam trainierten sie ihre Tiere, die bis dahin noch keine Übung darin hatten, mit Menschen Wanderungen zu unternehmen, über den gesamten Winter hinweg. Erst kam das Halfter, an das sich die Alpakas gewöhnen sollten, dann die Leine – Schritt für Schritt, Tier für Tier. „Balou war der erste, mit dem wir eine Runde drehen konnten“, erzählt Stefan Galisch. Danach folgten Diego und Pedro. Mit genau diesen dreien sind wir heute unterwegs.
Wir waren einfach zu faul, die Wiese regelmäßig zu mähen.
Ich führe Balou, den gemütlichen Charmeur mit der lustigen Frisur. Der kuschlige Kerl frisst auf dem Weg mehr Gras als er läuft, und wenn er mal in Gang kommt, zieht es ihn – und damit auch mich am anderen Ende der Leine – in die Hecken am Wegesrand. Pedro, der weiter vorn mit Kerstin unterwegs ist, legt sich immer mal wieder hin, sichtlich genervt vom lahmen Tempo der Gruppe. Und Diego? Der ist einfach mit allem zufrieden. Diese Gelassenheit scheint sich auf mich zu übertragen. Ich ertappe mich dabei, wie ich während der kleinen Wanderung komplett die Zeit vergesse. Alles wird ruhig. Kein Stress, kein Handy, nur das leise Schmatzen, wenn Balou sich wieder einen Halm schnappt.
Dieser Spaziergang entschleunigt. Die Tiere übertragen eine Ruhe, die ansteckt, und verbreiten eine entspannte Fröhlichkeit. Stefan Galisch erklärt, dass man sich dem Tempo der Alpakas anschließen und nicht versuchen solle, Balou wie einen Hund an der Leine zu führen. Es seien eben ganz andere Tiere. Er und seine Frau sind ein eingespieltes Team – auch wenn ihre Interessen sich deutlich unterscheiden. Während sie der abenteuerlustige Typ ist und die Geschwindigkeit beim Schlittenhunderennen liebt, genießt er die Ruhe und Entspannung. „Die Alpakas sind komplett mein Ding“, sagt er. Wer ihn beobachtet, glaubt es sofort: Mit ganz viel Geduld kümmert er sich um die Tiere.
Ursprünglich bestand ihre Herde, die sie liebevoll ihre „Boygroup“ nennen, aus sieben Tieren. Als sie ihrem Freund, der ihnen bereits die anderen Alpakas verkauft hatte, beim Scheren halfen, lernten sie dann auch noch Diego und Pedro kennen. „Ich stand daneben, als Pedro vom Schertisch kam, und sagte sofort: Der kleine Mann bleibt nicht hier, den nehmen wir mit“, erinnert sich Stefan Galisch. Seine Frau lacht: „Ich kam von der Arbeit und sagte genau dasselbe. Und weil es hieß, dass Pedro nicht allein gehen kann, kam Diego auch noch mit.“
Neben Balou, Diego und Pedro gehören Barak, Carlos, Romeo, Rudi, Rocky und Max zur freundlichen Röderhofer Boygroup. Barak, vermutlich der Chef der Herde, geht nicht mit auf Wanderungen. „Er ist der Boss auf der Weide. Er mag vielleicht seinen eigenen Kopf haben, aber wenn man ihn kennt, weiß man, dass unter der störrischen Oberfläche ein treues Herz schlägt“, beschreibt Stefan Galisch. Dafür erweisen sich Balou und Co. als die idealen Begleiter – neugierig, freundlich, gemütlich.
Ihre erste offizielle Wanderung mit Gästen haben die Tiere gerade hinter sich – meine ist die zweite. Aber man merkt sofort: Die Tiere sind ruhig, entspannt, lassen sich gern auf den Spaziergang ein. „Jetzt, wo die Tiere soweit sind, können wir loslegen“, sagt Stefan Galisch. Neben der etwa anderthalbstündigen Alpaka-Wanderung bieten die beiden auch Picknicks auf der Alpaka-Weide an, oder man bucht ein kurzes Kennlernstündchen mit den flauschigen Vierbeinern. Mein Herz jedenfalls haben sie schon nach wenigen Minuten gewonnen. Am Ende der Wanderung schaue ich nochmal zu Balou, der gerade seelenruhig auf einer sonnigen Lichtung steht und grast. Ich glaube, er weiß gar nicht, wie gut er tut.