Martini - das optimistische Halberstadt-Magazin

Lächeln und loslassen

Anja Prehm hätte gerade allen Grund, enttäuscht oder frustriert zu sein – schließlich fällt es nicht leicht, das loszulassen, was man liebt. Doch diese Frau klagt nicht. Sie bewahrt sich ihr sonniges Temperament. Noch bis Ende des Jahres will sie ihre Gäste mit dem gewohnten Lächeln im Burger-Café „AnCaLi“ empfangen – auch wenn feststeht, dass sie dann den Laden schließt.

Von Dana Toschner

Glücklich sein ist eine Kunst. Sie ist unser Zuhause.“ Diese Teebeutel-Weisheit steht auf dem kleinen Zettelchen, der am dünnen Faden über den Rand des Glases baumelt. Ausgerechnet solch ein Spruch. Anja Prehm stellt ihren Mango-Chai auf einen kleinen Tisch am Fenster, zieht sich den Stuhl heran und lacht. „Das passt doch wunderbar!“, sagt sie.

Tatsächlich scheint diese Frau die Kunst des Glücklichseins zu beherrschen, denn sie wirkt ganz und gar nicht niedergeschlagen. Dabei macht gerade das Gerücht die Runde, dass sie sowohl das Burger- als auch das Softeis-Café zum Jahresende schließen will. „Beides stimmt. Aber es stimmt eben auch, dass ich deshalb nicht verbittert bin. Ich hatte hier eine gute Zeit, die ich als Lernprozess begreife und unheimlich schätze. Wir haben es geschafft, die Leute wirklich zu begeistern mit unseren hausgemachten Burgern und dem besten Softeis der Stadt. Aber trotzdem steht für mich fest, dass es jetzt eine Veränderung braucht.“

Sie folgt ihrem Bauchgefühl. Genau wie damals, als sie 2021 das leerstehende Geschäft in der Voigtei entdeckte und sie der Gedanke nicht mehr losließ, sich genau an diesem Ort selbstständig zu machen. „Das Objekt hat mich magisch angezogen. Es hatte die richtige Energie. Ich wusste, dass ich was Eigenes versuchen wollte – und dass es hier passieren sollte.“ 

Anja Prehm, die bei ihrem Start in Halberstadt noch Anja Gerlach hieß, aber inzwischen ihren Mädchennamen wieder angenommen hat, erinnert sich noch gut an den Tag, an dem sie zum ersten Mal durchs Fenster in ihre heutigen Geschäftsräume spähte. Bei einem Spaziergang mit der Familie, sie war gerade erst drei Wochen zuvor aus Nordhausen nach Halberstadt gezogen, kreisten ihre Gedanken um die Frage, was sie hier entstehen lassen könnte. Ein Bistro für Ofenpfannkuchen? Oder sollte man doch lieber jene Burger anbieten, von denen ihre vier jugendlichen Kinder gerade so schwärmten, und die nichts gemein haben mit dem, was in den Filialen der großen Fastfood-Ketten über den Tresen geht?

Klar war, wie es heißen sollte: „AnCaLi“. Die Silben stehen für „Anjas Café der Liebe“. Und wahrscheinlich ist es gar nicht so relevant, was diese Frau verkauft, sondern viel mehr die Art und Weise, wie sie es tut. „Ich stehe absolut hinter unseren Produkten. Wenn ich zum Beispiel einen Teig für einen Kuchen knete, dann bin ich zu hundert Prozent dabei. Ich weiß, dass man das schmeckt, und ziehe meine Freude aus dem Ergebnis, das ich meinen Gästen später servieren kann. Natürlich kann ich das Rezept weitergeben, aber der Kuchen wird mit hoher Wahrscheinlichkeit doch nicht genauso schmecken.“

Ich habe den Verstand verloren. Stattdessen vertraue ich meiner Intuition. Sie lenkt und leitet mich.

Wenn es eine Zutat gibt, die den Unterschied macht, dann ist es wohl die Begeisterungsfähigkeit, die Anja Prehm mit in den Teig rührt. Manchen Gast wird sie womöglich verschrecken mit ihrer überbordenden guten Laune und dem Hang zum Spirituellen, aber das nimmt sie in Kauf. „So bin ich. Ich habe den Verstand verloren – und das ganz bewusst. Stattdessen vertraue ich meiner Intuition. Sie lenkt und leitet mich.“

So ließ sie sich bei ihrer Existenzgründung nicht beirren und folgte ihrem eigenen Fahrplan. Als die Bank bei der Kreditvergabe nach einer kaufmännischen Ausbildung fragte, musste sie verneinen. Anja Prehm ist gelernte Krankenschwester, war viele Jahre Vollzeit-Mama für ihre vier Kinder und jobbte später als Servicekraft in der Gastronomie. „Ich finde es großartig, anderen Menschen schöne Momente zu bereiten, ihnen das Gefühl zu geben, willkommen zu sein“, sagt sie. „Nur wollte ich eben gern selbst Chefin sein, um es so zu machen, wie ich es als gut und richtig empfinde.“

Schon in ihrem ersten Halberstädter Winter gewann sie eine kleine Fangemeinde für sich: Sie verkaufte Schmalzkuchen in einer Hütte am Kaufland und verbreitete Weihnachtsstimmung, als wegen der Corona-Pandemie alle Märkte abgesagt wurden.

Die Schmalzkuchen sah sie als ein gutes Omen, ebenso wie das Horoskop, dass sie sich für den Start ihres Burger-Cafés erstellen ließ. „Die Planeten standen außerordentlich gut für unser Vorhaben“, sagt sie und zeigt auf ein Bild an der Wand, dass deren Konstellation zeigt. Die Bürgschaftsbank, die ihr in Sachen Finanzierung Unterstützung zusagte, glaubte aber wohl eher an das Potenzial ihrer Geschäftsidee. So konnte sie in eine gute Küchenausstattung investieren und kaufte hochwertiges Mobilar, um in zeitgemäßes Ambiente zu schaffen. Der große Holztisch, der einem vierblättrigen Kleeblatt nachempfunden ist, brachte ihr offenbar Glück: Mehr als 500 positive Rezensionen auf Google und eine Durchschnittsbewertung von 4,9 von 5 möglichen Sternen  – das muss man erstmal schaffen. Die Gäste loben die frisch zubereiteten, saftigen Burger, den Knobi-Dip, die krossen Süßkartoffel-Pommes und das freundliche Team.

Dass das „AnCaLi“ zum Jahresende schließt, scheint angesichts dessen schwer nachvollziehbar. „Es reicht einfach nicht“, erklärt sie ihren Entschluss. „Es gibt Sonntage, an denen sitzt du hier in der menschenleeren Altstadt und wartest auf Gäste. Dann trudeln mal zwei oder vier ein, und dann wartest du wieder. So will ich auf Dauer nicht arbeiten. Das befriedigt mich einfach nicht. Solche Tage werden zur inneren Zerreißprobe.“ 

Auch ihr Softeis-Café auf der anderen Straßenseite konnte nach einem euphorischen Start im vergangenen Jahr in diesem Sommer den Umsatz nicht halten. Material- und Personalkosten fressen die Gewinne auf. Selbst wenn die Ein- und Ausgaben noch soweit passen, dass sie theoretisch noch eine Weile durchhalten könnte, verliere sie angesichts solcher lahmen Tage die Lust. „Ich brenne für das, was ich tue. Aber seit einigen Monaten lodert das Feuer nur noch auf kleiner Flamme. Das gefällt mir nicht“, beschreibt die 42-Jährige. „Für mich ist das ein Zeichen, dass sich etwas verändern darf.“

Privat hat sie nach einer Trennung vor zwei Jahren einen Neustart gewagt, und nun sei es eben an der Zeit, beruflich die Weichen neu zu stellen. Dabei hat sie auch ihre drei Söhne und die Tochter im Blick, die in ihrer Freizeit abends und an den Wochenenden viele Schichten übernommen haben. „Ohne sie hätte es finanziell gar nicht funktioniert. Das hier war von Anfang an ein Familienprojekt. Ich will für sie und auch für mich gewissermaßen den Weg frei machen.“

Wohin er führt? Anja Prehm hat Ideen, aber noch keinen spruchreifen Plan. Erstmal will sie die letzten Wochen und Monate mit ihren Gästen genießen, gedanklich im Jetzt sein und darauf vertrauen, dass sich neue Türen öffnen, wenn man nicht an Altem festhält. „Vielleicht wird es etwas Mobiles, was mehr Freiheiten schafft. Ich wäre gern nicht mehr an einen festen Ort gebunden“, überlegt sie laut. Angst vor der Zukunft habe sie jedenfalls nicht. „Ich fokussiere mich nicht auf das, was ich verliere, sondern auf das, was ich will. Notfalls setze ich mich auch mal eine Weile an eine Supermarktkasse. Es kommt doch immer drauf an, was du draus machst!“