Martini: Herr Szarata, schön, dass Sie mitspielen! Die Idee ist, dass Sie eine Karte ziehen und den Satz vervollständigen. Sie müssen sich also auf den Zufall einlassen. Fällt Ihnen das im Alltag generell leicht oder schwer?
Daniel Szarata: Das fällt mir leicht. Über Zufälle freue ich mich sogar, weil sie neue Herausforderungen bedeuten, über die ich nachdenken kann. Wenn immer alles nach Plan läuft, ist es doch total langweilig. Durch Zufälle ergeben sich Möglichkeiten und Wege, die man vorher noch nicht gesehen hat.
Sind Sie bereit für die erste Karte? Sie ziehen. Ich lese vor, und dann vervollständigen Sie den Satz. Ja, kann losgehen! „Wenn ich mir eine Superpower aussuchen könnte, wäre es …“
… im entscheidenden Moment Glück zu haben. Damals im Wahlkampf hat man mich für ein Video gefragt, welcher Superheld ich gern wäre. Ich habe „Lucky Luke“ gesagt. Ich kenne die Comics gar nicht so gut, aber wenn man Lucky heißt und Cowboy ist, gehe ich davon aus, dass der Kerl immer Glück hat.
„Am meisten freue ich mich über …“
… Leute, die erkennen, dass wir tatsächlich etwas erreichen für unsere Stadt. Dass wir das Image langsam verändern, dass durch Ansiedlungen neue Arbeitsplätze entstehen und wir etwas tun für Ordnung und Sauberkeit in der Stadt. Ich freue mich, wenn jemand sagt: „Hallo, Sie sind doch hier der Oberbürgermeister? Sie machen gar nicht mal so schlechte Arbeit.“ Meistens liegt ja der Fokus der Menschen eher auf dem, was man falsch macht oder was nicht so gut läuft.
Frustriert es Sie, häufig auf Kritikpunkte hingewiesen zu werden? Nein, damit umzugehen, ist Teil des Jobs. Ich denke, es ist normal, dass die Leute immer dann zu mir kommen, wenn sie ein Problem haben. Hier fehlt ein Mülleimer, und dort gibt’s ein neues Schlagloch … Ich selbst gehe ja auch nur zum Arzt, wenn ich krank bin, und nicht, um mal Bescheid zu sagen, dass ich mich fit fühle.
Wie ist das Verhältnis von Tadel zu Lob? In etwa 9:1?
Das trifft es wahrscheinlich ganz gut. Aber die Freude über das positive Feedback ist dann umso größer. Kürzlich sprach mich zum Beispiel eine Frau beim Einkaufen an und sagte, sie finde es toll, dass die Stadt so sauber sei. Zuerst dachte ich, sie will mich veralbern, aber sie meinte es ernst. Und es stimmt ja auch. Schauen Sie doch vom Rathausbalkon runter auf den Holzmarkt oder gehen Sie durch die Altstadt! Hier fliegen keine Plastiktüten durch die Luft, hier liegt kein Papier. Das sieht in großen Städten wie Berlin ganz anders aus. Natürlich weiß ich, dass es auch hier bei uns vernachlässigte Ecken gibt, aber insgesamt ist Halberstadt sauber und ordentlich.
Wenn man selten Schulterklopfen für seine Arbeit bekommt, muss man die Motivation aus anderen Quellen schöpfen. Wie gelingt Ihnen Sie das?
Ich ziehe meine Motivation aus den Dingen, die keiner sieht. Zum Beispiel haben wir seit meinem Amtsantritt immer genehmigte Haushalte. Das gab es in den 15 Jahren davor nicht. Das interessiert den Bürger relativ wenig, aber es ist ganz elementar für das, was wir hier machen können, für die Spielräume, die wir haben.
Apropos Spiel. Es ist Zeit für eine nächste Karte. Bitte vervollständigen Sie den Satz: „Meine Freunde sagen über mich …“
… wahrscheinlich, dass ich ein geselliger Typ bin, einer, mit dem man viel Spaß haben kann, und der die Sachen durchzieht, die er machen will. Ganz bestimmt würden sie sagen, dass ich ehrgeizig bin. Wenn ich mir Ziele vornehme, arbeite ich daran, sie zu erreichen. Ich wollte unbedingt Oberbürgermeister werden, und jetzt bin ich’s. Die Zielstrebigkeit gilt auch für die Freizeit. Gerade habe ich das Deutsche Sportabzeichen gemacht – in Gold. Alles andere war keine Option. Ich war schließlich früher mal Leichtathlet.
Würden die Freunde sagen, Ihr Job, Ihre Position hat Sie als Mensch verändert?
Ich glaube nicht, nein. Verändert hat sich nur die Tatsache, dass ich weniger Zeit habe. Wenn du mit Leuten zusammen bist, die du mit 20 oder 30 kanntest, verhältst du dich auch ganz schnell wieder so wie damals. Sicherlich bin ich heute ein bisschen vorsichtiger. Meinen Junggesellenabschied habe ich lieber in Polen gefeiert als in Magdeburg. Ich vertraue darauf, dass Freunde nichts Privates posten. In meinem Freundeskreis ist klar, dass ab einer bestimmten Uhrzeit die Handys nicht mehr rausgeholt werden. Die braucht man auch nicht.
Wenn ich mir Ziele vornehme, arbeite ich daran, sie zu erreichen. Ich wollte unbedingt Oberbürgermeister werden, und jetzt bin ich's.
Die nächste Karte: „Wenn ich alle Zeit der Welt hätte, würde ich …“
… mich ausruhen. Komplett einfach mal gar nichts mehr tun. Das Herumliegen kommt zu kurz, auch zum Bücherlesen oder Fernsehen fehlt die Zeit. Wir schaffen am Wochenende vielleicht mal eine Folge einer Serie. Da haben andere die ganze Staffel gesehen.
Was wäre der ideale Ort für dieses Nichtstun?
Hawaii wäre mein Wunschziel. Nachdem ich mich genug ausgeruht habe, würde ich dort ein paar Surfkurse belegen. Wir waren 2013 auf Hawaii, und das war echt großartig: sehr vielfältig und die Leute völlig entspannt. Trotzdem möchte ich immer wieder nach Halberstadt zurückkehren.
„Ein perfekter Tag beinhaltet für mich …“
… dass alle in meinem Arbeitsumfeld supergute Laune haben und wir einen tollen Anruf kriegen. Perfekt war der Tag, an dem wir erfahren haben, dass sich Daimler Truck für Halberstadt entschieden hat. Ein gutes Gefühl ist es auch, wenn wir für ein kniffliges Problem eine Lösung gefunden haben. Darüber kann ich mich den ganzen Tag freuen.
Und wie sieht Ihr perfekter Tag privat aus?
Wenn ich frei habe, bin ich ein großer Freund des Ausschlafens. Danach gibt es ein schönes Frühstück und ein tolles Erlebnis. Ich würde einen Sportwagen ausleihen und damit herumfahren oder irgendwas machen, was mit Adrenalin zu tun hat. Ich fand die Megazipline an der Rappbodetalsperre klasse und habe House-Running in Hannover ausprobiert. Du kippst langsam nach vorn und läufst eine Hauswand hinunter. In dem Moment, wo ich spüre, der Gurt hält mich, verliere ich die Angst und kann es genießen. Nur mit dem Bungee Jumping hadere ich noch. Da weißt du erst, wenn du unten bist, ob das Seil hält oder vielleicht versehentlich zu lang eingestellt wurde.
Da trifft die Sehnsucht nach einem Adrenalinschub auf das Vertrauen, dass etwas gut ausgeht.
Ja, das Vertrauen brauche ich auch im Job. Wenn man vor den Stadtrat tritt, eine Rede hält oder eine Entscheidung trifft, weiß man nie, ob es am Ende richtig war. Das einzige, was ich weiß, ist, ich muss dafür geradestehen. Ich halte den Kopf hin. Deshalb lasse ich mich gern ausgiebig beraten, durchdenke alles bis ins Details. Die Entscheidung treffe ich dann aber allein. Da ist immer ein kleiner Adrenalinkick dabei, auch wenn die Konsequenz nicht sofort zu spüren ist.
Bei den waghalsigen Freizeitaktivitäten gibt es einen Punkt der Überwindung. Empfinden Sie den auch kurz bevor Sie eine Rede vor vielen Menschen halten?
Nein. Auch da treibt mich mein Ehrgeiz. Falls es mehrere Redner gibt, möchte ich der mit der besten Rede sein. Ich habe einmal in meinem Leben eine wirklich schlechte Rede gehalten. Die war unterirdisch, völlig am Publikum vorbei. Das war mir extrem unangenehm. An dem Tag habe ich mir geschworen, ich halte nie wieder eine schlechte Rede. Deshalb bin ich heute immer gut vorbereitet. Ich lasse mir die Inhalte zuarbeiten, aber Anfang und Ende schreibe ich selbst. Es sollen meine Worte sein, da lasse ich auch keine KI ran.
Ihr Ehrgeiz ist offensichtlich eine zentrale Charaktereigenschaft. Können Sie gut damit umgehen, dass andere weniger Eifer an den Tag legen?
Leider nein. Dafür habe ich wenig Verständnis, denn ich wollte und will immer der Beste sein in meinem Bereich. Aber ich muss es lernen, damit umzugehen, dass andere Menschen eben andere Prioritäten setzen und im Zweifel der Job für sie nur ein Mittel ist, um Geld zu verdienen. Sie machen trotzdem eine gute Arbeit. Aber ich gehe noch einen Schritt weiter – und verlange das auch von meinem Umfeld. Um mich herum habe ich glücklicherweise Leute, die nicht nur Dienst nach Vorschrift machen.
Wonach streben Sie als nächstes?
Ich bleibe so lange Oberbürgermeister, wie mich die Leute wählen. Ich fühle mich wohl in Halberstadt und möchte nirgendwo anders hin, auch nicht nach Berlin in die Bundespolitik. Ich war Landtagsabgeordneter, aber das war nicht mein Ding. Was ich jetzt mache, möchte ich noch sehr, sehr lange machen. Ich kann wirklich für mich sagen: Ich bin angekommen.
Aber Pläne schmieden Sie doch trotzdem?
Wenn ich jetzt ehrgeizige Pläne mache, dann mache ich sie für die Stadt. Da gibt es das ein oder andere, was ich erreichen möchte. Ich halte mich zurück, das kundzutun, aber ich träume davon, dass wir es schaffen, als Stadt die negative demographische Entwicklung aufzuhalten. Das Minimal-Ziel: Wir bleiben gleich groß. Das Maximal-Ziel: Wir werden eine Stadt mit 50.000 Einwohnern. Aktuell haben wir etwa 40.000. Ich weiß nicht, ob das gelingen kann. Man muss sich Ziele setzen und trotzdem auch ein bisschen Realist bleiben.
Wie gut können Sie es verkraften, ein Ziel nicht zu erreichen?
Ich merke, wenn ich an meine Grenzen stoße, und kann das ganz gut hinnehmen. Ich wäre in meiner Jugend gern Weltmeister über 110 Meter Hürden geworden, aber habe es nicht mal zum Landesmeister gebracht. Meine musikalische Karriere war auch nur mittelmäßig erfolgreich. Mit Anfang 20 habe ich in einer Band Gitarre gespielt. Wir hießen „Die Doktoren“ und haben „Ärzte“-Songs gecovert. Wir hatten richtig Bock, waren regional bekannt, aber wirklich gut war ich trotz viel Übung und Ehrgeiz an der Gitarre nie. Ich musste akzeptieren, dass ich kein Jimi Hendrix werde. Es reicht aber fürs Lagerfeuer.
Gibt es – analog zu Jimi Hendrix – einen Menschen in Politik oder Gesellschaft, der Sie fasziniert?
Nein, Vorbilder sind nicht so meins. Es gibt aber einen Amtskollegen, den Oberbürgermeister von Freiburg im Breisgau, den ich als unheimlich netten Typen erlebe. Den kann man nur gern haben! Ich fände es schön, wenn mich die Menschen auch so wahrnehmen würden. Mir hingegen wird öfter mal gesagt, ich wirke kühl und distanziert. Ich hoffe, wenn man mich kennenlernt, ändert sich das Bild. Vielleicht liegt es daran, dass ich meist der einzige bin, der im Anzug durchs Zentrum läuft. Ich finde das angemessen, denn ich repräsentiere ja die Stadt. Würden es die Leute nicht seltsam finden, wenn ich in einer kurzen Blümchenhose einkaufen gehe?
Das käme auf den Versuch an! Jetzt sind wir ins Plaudern gekommen und haben die Kärtchen vergessen. Hier ist noch eine: „Wenn ich nicht hier wäre, wäre ich …“
… wohl noch immer Landtagsabgeordneter. Aber eigentlich gibt’s für mich keine Alternative. Ich möchte nirgendwo anders sein. Mein Job erfüllt mich. Er gibt mir unbegrenzt viele Möglichkeiten, etwas für Halberstadt zu tun. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich an einen Punkt komme, an dem ich keine Ideen mehr habe.
„Wenn sich alle meine Wünsche erfüllt haben, werde ich …“
… glücklicher Rentner.