Martini - das optimistische Halberstadt-Magazin

Die nickenden Buddhas

Was tun, wenn sich beim eigenen Kind eine besondere Begabung zeigt? Yvonne und Marko Dropp standen vor dieser Frage, als sich ihr Sohn Finjas als Tennistalent entpuppte. Heute dreht sich bei der Familie aus Schwanebeck fast alles um den 13-Jährigen – mit allem, was dazugehört. Auch Entbehrungen.

Von Mathias Kasuptke

Finjas Dropp sitzt locker auf seinem Stuhl, das linke Bein wippt ungeduldig. Er spricht direkt, ohne Zögern – als hätte er bereits mehrere Medientrainings hinter sich. Fragen wie „Wann hast du mit dem Tennisspielen begonnen?“ oder „Willst du der nächste Boris Becker werden?“ scheinen ihn kaum zu interessieren.

Zeit ist für ihn kostbar. Ein Trainer sagte ihm einmal, er habe zwei Jahre Rückstand auf gleichaltrige Spitzenspieler. Das will er aufholen. Finjas will weiter. Trainieren. Die nächste Etappe erreichen. Nächstes Jahr soll es nach Hannover aufs Sportinternat gehen, möglicherweise folgen erste internationale Turniere.

Der erste Kontakt mit dem Tennissport liegt zehn Jahre zurück. Damals lebte die Familie noch in einer kleinen Gemeinde in Nordrhein-Westfalen. Finjas’ älterer Bruder Cederic, damals 13, sollte sich für eine Sportart entscheiden – und ein Tennisplatz lag direkt hinter dem Haus. Die Wahl der Eltern war pragmatisch. „Wir waren beide berufstätig, der Weg war kurz“, erinnert sich Mutter Yvonne.

Finjas war drei Jahre alt, durfte beim großen Bruder immer wieder mal zuschauen, sammelte die Bälle ein und durfte ab und zu dessen Schläger halten. Dann schenkte ihm eine andere Mutter einen Kinderschläger. Ob aus Weitsicht oder einfach, weil er übrig war, weiß heute niemand mehr. Finjas legte ihn jedenfalls nicht mehr aus der Hand.

„Wir mussten handeln – sonst hätte er uns die Wohnung zerlegt“, sagt Vater Marko heute. Zu dem Zeitpunkt lebte die Familie bereits wieder in der alten Heimat. Nach 25 Jahren im Westen zog es die Dropps zurück nach Sachsen-Anhalt. Die Großeltern lebten hier, und das Leben in NRW empfanden sie als zu angepasst. In Halberstadt um Umgebung suchten sie ein Haus. In Schwanebeck wurden sie fündig. Finjas spielte fortan beim Tennisclub Rot-Weiß Halberstadt.

Er trainierte mit großem Einsatz – und stieß bald an die Grenzen des Vereins. „Das wird hier nichts mehr“, erinnerte sich Yvonne Dropp an die klare Aussage von Trainer Dieter Helmchen. Der riet, Finjas nach Wernigerode zu schicken. Dort sei ein leistungsorientierteres Training möglich.

Helmchen gerät noch heute über Finjas ins Schwärmen: „Der hatte so viel Talent und war so heiß auf Tennis – so etwas habe ich noch nie erlebt.“ Für Halberstadt sei das einmalig gewesen.

Mit dem Wechsel nach Wernigerode begann eine Entwicklung, deren Ausmaß die Familie nicht absehen konnte. „Wir sind da reingerutscht – langsam, Schritt für Schritt“, sagt Yvonne Dropp. „Eigentlich wollten wir nur, dass unser Sohn Spaß hat und gefördert wird.“

Alles begann mit dem ersten Turnier. In Braunschweig, beim Weihnachtscup des niedersächsischen Tennisverbands, verlor Finjas sein Auftaktspiel. Die Enttäuschung war zunächst groß. Doch es gab eine Trostrunde. Dort gewann er alle Spiele und fiel auf. Mit diesem ersten Erfolg war der Weg vorgezeichnet.

Die sportliche Entwicklung nahm Fahrt auf. Trainingseinheiten in Magdeburg, Leipzig, Hannover bei Verbandstrainern folgten. In Halle spielt Finjas heute beim TC Sandanger e.V. inzwischen in einer Herrenmannschaft – in seiner Altersklasse gibt es im Land keine ebenbürtigen Gegner mehr. Bei den Herren gewinnt er längst nicht alle Spiele. „Das ist nicht so wichtig. Ich sammle Erfahrung“, sagt der 13-Jährige und strotzt dabei nur so vor Selbstbewusstsein. 

Heute vergeht kaum ein Wochenende ohne Turnier. Seine Eltern begleiten ihn überallhin. Deutschlandweit. Als die Hotelkosten zu hoch wurden, kaufte Vater Marko ein altes Wohnmobil. „Was die Dropps für ihren Sohn leisten, verdient Respekt“, sagt sein einstiger Trainer Dieter Helmchen. 

Die Dropps sehen die Fahrerei locker. Die Turniere seien wie Klassentreffen. „Wir stoßen immer auf dieselben Leute. Es hätten sich richtige Freundschaften mit den Eltern anderer Spieler gebildet. Für uns ist das wie Kurzurlaub mit Finjas“, sagt die Mutter. Der große Bruder, inzwischen 23, genießt derweil die Ruhe zu Hause.

Bei einem späteren Sichtungsturnier in Hannover fiel Finjas erneut auf. „Nicht nur wegen seines Spiels, sondern durch seinen Ehrgeiz und sein Auftreten“, erzählt Yvonne. Ein Jahr lang durfte er deshalb kostenlos an einer Tennisschule trainieren. Von einem Platz jenseits der 50 rückte er in der bundesweiten Rangliste seiner Altersklasse auf Position 13 vor.

Es kann jederzeit vorbei sein – eine Verletzung, Frust, ein Mädchen.

Druck bekommt er von seinen Eltern nicht. „Wir träumen nicht von ATP-Turnieren oder Millionenverträgen“, sagt Yvonne Dropp. „Wir sehen in ihm keinen zweiten Boris Becker – auch wenn er früher rote Haare hatte.“ Sie unterstützen ihn – solange er Freude am Spiel hat.

Ein Erlebnis in Frankfurt bleibt den Eltern besonders im Gedächtnis. Die Veranstalter luden zu einem Elternabend mit einem Psychologen. Dessen klare Botschaft: Unterstützen, aber nicht einmischen. Immer Lächeln. Einfach Dasein. „Seitdem sind wir die nickenden Buddhas“, sagt Yvonne. Während der Spiele nicken sie. Lächeln. Ein Zeichen haben sie dennoch: Eine Faust aufs Herz bedeutet „Konzen-
tration“.

Was, wenn Finjas plötzlich aufhört? Diese Frage steht im Raum. „Es kann jederzeit vorbei sein – eine Verletzung, Frust, ein Mädchen“, sagt Yvonne. Sie selbst trägt inzwischen das Familieneinkommen. Marko räumt ein, dass sie sich dann umstellen müssten. Dann hätten sie plötzlich mehr freie Zeit. Er hat seinen Job aufgegeben, kümmert sich um den Sohn, fährt ihn zu Turnieren und zum Training, ab und zu spielt er ihm auch ein paar Bälle zu. Immer, wenn dann noch Zeit sein sollte, gibt er ein paar Übungsstunden für Tennisanfänger. Vor zwei Jahren hatte er seinen Trainerschein gemacht.

Für die Familie bedeutet der sportliche Ehrgeiz von Finjas, auch Abstriche zu machen. „Mit nur einem Verdiener können wir uns einige Dinge nicht mehr leisten. Urlaub haben wir schon lange nicht mehr gemacht. Auch am Haus müsste einiges weitergebaut werden, das bleibt vorerst liegen“, sagt Marko Dropp. 

Jede Einheit, jede Fahrt, jedes Camp kostet Geld. Der Ausrüstervertrag mit dem französischen Hersteller Babolat hilft – neue Schuhe braucht Finjas etwa alle vier Wochen. Auch Schläger und Kleidung halten nicht lange.

Und doch: Es sieht nicht danach aus, dass er die Lust verlieren könnte. In den Osterferien war er auf Mallorca im Trainingslager. Dreimal pro Woche fährt er nach Hannover. Einmal darf er dort übernachten. Die Schule? Kein Problem. Seine Noten sind gut, er wird freigestellt.

Nächstes Jahr könnte der Wechsel ins Internat folgen. Von einer Karriere als Nummer eins träumt er nicht. „Das ist unrealistisch“, sagt er nüchtern. Und schiebt das wippende Bein noch ein Stück weiter nach vorn.