Martini - das optimistische Halberstadt-Magazin

Die Kür hat Flügel

Mit Mitte 50 will sie nicht mehr jeden Tag am Rechner sitzen und arbeiten, während draußen die Sonne scheint. Das hatte die Halberstädterin Grit Bordé schon als 40-Jährige beschlossen. Sie sparte, zahlte einen Kredit ab und richtete alles darauf aus, sich diesen Wunsch erfüllen zu können. Jetzt hat sie Zeit, sich mit dem zu beschäftigen, was sie glücklich macht: Die ehemalige Finanzkauffrau startet als selbstständige Imkerin.

Von Dana Toschner

Schade, dass ihr Großvater nicht mehr sehen kann, wie Grit Bordé durch den Garten geht und sich vorsichtig ihren Bienenbeuten nähert. Er hätte wahrscheinlich seine Freude daran, denn in eben jenem Garten hielt er vor vielen Jahrzehnten selbst Bienenvölker und erzählte seiner Enkelin, was es mit sogenannten Räuberbienen auf sich hat. „Den Begriff habe ich mir gemerkt, obwohl mein Opa das Imkern aufgegeben hat, als ich noch klein war und ich gar nicht so richtig begriff, was das Wort bedeutet.“ 

Heute weiß sie, dass Räuberbienen in die Stöcke anderer Bienenvölker eindringen, um dort Honig zu stehlen. „Das kann passieren, wenn ein Volk geschwächt ist – etwa durch Krankheit, den Verlust der Königin oder Nahrungsmangel“, erklärt sie. „Der Honigraub setzt den betroffenen Völkern zusätzlich zu oder kann sie sogar vollständig zugrunde richten.“ Wer sie erzählen hört, der spürt, dass sie sich in den zurückliegenden Jahren ein Menge Wissen über die Bedürfnisse der Bienen und den Umgang mit ihnen angeeignet hat. Es ist ihr ernst mit der Aufgabe für den neuen Lebensabschnitt. „Wenn ich etwas mache, dann richtig“, sagt Grit Bordé. So will sie nicht nur hobbymäßig imkern, sondern den neuen Beruf professionell betreiben.

Das Ziel liegt klar vor ihr: „Wenn ich in einigen Wochen genug Honig ernte, möchte ich ihn auf  Märkten verkaufen.“ Sie freue sich darauf, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, ihre Fragen zum Imkern zu beantworten und auch über den Wert von Nahrungsmitteln, die hier aus unserer Region stammen, mit den Menschen zu sprechen. „In Umfragen sagen die meisten, dass es ihnen sehr wichtig ist, regional zu kaufen. Aber wenn das abgepackte Gehackte im Discounter im Angebot ist, landet es doch im Einkaufskorb. Da fragt keiner, woher es stammt. Ich denke, beim Blick auf unser Essen sollte nicht nur der Preis entscheiden.“ 

Wenn man sich anschaut, wie viele Arbeitsschritte und wie viel Geduld notwendig sind, ehe sie ihren Verkaufsstand erstmals aufbauen kann, wird klar, warum das Glas Honig im Supermarkt deutlich weniger kostet als eines vom regionalen Imker. „Der Aufwand ist enorm. Honig ist ein Naturprodukt, ein hochwertiges Lebensmittel – und hat auch die entsprechende Wertschätzung verdient“, sagt sie. Ein Bienenvolk muss für ein einziges Glas Honig mehrere Millionen Blüten anfliegen, und für den Imker ist alles Handarbeit: von der Pflege der Völker über die Kontrolle der Bienen-Gesundheit bis hin zur Honigernte. 

Anders als bei industriell verarbeitetem Honig wird nicht auf Masse, sondern auf Qualität gesetzt. Während Importhonig aus Übersee oft aus verschiedenen Quellen gemischt wird, spiegelt Honig vom Imker die Landschaft und das Klima einer bestimmten Region wider – von der Obstblüte bis zum Lindenbaum. Auch gesetzlich ist der deutsche Imkerhonig streng reguliert. Die Honigverordnung schreibt vor, dass der Wassergehalt unter 20 Prozent liegen muss – das erfordert sorgfältiges Timing bei der Ernte. Jeder Tropfen wird mehrfach geprüft, gerührt, abgefüllt, jedes Gläschen sorgfältig verschraubt und etikettiert. Welcher Ertrag am Ende einer Saison zu erwarten ist, bleibt Glückssache. „Als Imker lebst du mit und von der Natur. Da ist nicht jedes Jahr gleich. Du kannst an kleinen Rädchen drehen, aber dich eben auch versteuern“, sagt sie.

Als Finanzkauffrau bei der Sparkasse hat sie 35 Jahre lang mit Zahlen gearbeitet. Morgens schaltete sie den Computer an und acht Stunden später wieder aus. Mit ihrem lange geplanten Ausstieg aus dem Bürojob hat sie einerseits die Freiheit gewonnen, draußen im Garten zu sein, wann immer sie will, aber andererseits die Sicherheit einer pünktlichen Gehaltszahlung aufgegeben. „Ich wollte es so, habe frühzeitig den Plan gefasst, Geld zurückgelegt und vorher alles genau durchgerechnet. Für mich war es der richtige Schritt. Alles Bisherige war die Pflicht, und jetzt kommt die Kür.“ 

Sie hat sich intensiv vorbereitet, das Wissen aus Büchern reichte ihr nicht. Schon 2007 fragte sie bei verschiedenen Imkern an, ob sie ihnen immer mal zusehen und ein bisschen helfen dürfe, um zu lernen. „Eine Art Praktikum“, sagt sie lachend. Einige lehnten ab, doch ein älterer Herr aus Osterwieck freute sich über ihr Interesse und ließ sie teilhaben. 

Die vielleicht wichtigste Lektion, die sie gleich zu Beginn lernte: sich immer mit Respekt und Vorsicht nähern. Weil jener Imker ohne Hut und Schleier arbeitete und sie wusste, dass die meisten Bienenrassen heute auf Sanftmut gezüchtet sind, trug Grit Bordé nur ein Basecap – und wurde prompt mehrfach gestochen. „Die mochten mich einfach nicht oder hatten einen schlechten Tag“, sagt sie schulterzuckend. „Mein Gesicht war komplett geschwollen.“

Diese Erfahrung änderte nichts an ihrer Entscheidung – nur an ihrer Kleidung. Sie kaufte einen Imkerhut, eine Imkerjacke, belegte einen Kurs und startete 2008 mit dem ersten Bienenvolk. Inzwischen stehen sieben Beuten in ihrem Garten, in dem es surrt und brummt. „Vier Wirtschaftsvölker, zwei Schwärme und ein Ableger“, zählt sie auf, während sie den qualmenden Smoker neben einer der Kisten abstellt. Der aufsteigende Rauch lässt die Bienen ruhiger werden, sie bleiben eher im Stock, statt auszuschwärmen oder anzugreifen. So kann die Imkerin den Deckel der Bienenbeute abheben und die einzelnen Rahmen mit den Waben entnehmen.

Im vergangenen Jahr, erzählt sie, war die Ernte prima. Etwa 400 Gläser Honig gingen an Verwandte, Freunde, die Familie und die Kirchengemeinde ihres Mannes Christian Plötner, der Pfarrer in Gröningen ist. Für diesen Herbst steht der Verkaufswagen für die Märkte bereit – äußerlich ist der schon mal ein Hingucker. Aber ob’s auch mit der reichen Ernte klappt? „Was summt, wird gut“, will man hoffen – oder zumindest schnell mal eine neue Bauernregel aufstellen. Doch Grit Bordé zögert: „Was mich an der Imkerei fasziniert, ist gerade das Unberechenbare. Ich kann noch so viel planen – am Ende entscheiden Wetter, Blüte und die Bienen selbst, ob’s gelingt“, sagt sie. „Dieses Zusammenspiel aus Intuition, Ausprobieren und Erfahrung macht den Reiz aus.“